31. Mai bis 2. Juni 2023 IFK Wien IFK@Zoom | VIKTORIA Wien
Künstlerisch-wissenschaftliche Konferenz, veranstaltet von Sarah Kolb, Abteilung für Kunstgeschichte und Kunsttheorie
IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien
VIKTORIA Raum für künstlerische Forschung und Social Design Wien
Die Konferenz legt ihren Fokus auf verschiedene Herkunftslinien topologischer Konzepte und Verfahren (Philosophie, Mathematik, Gestalttheorie, Psychoanalyse u.a.) und bezieht deren Prinzipien der Transformation und Nicht-Orientierbarkeit anhand von Beiträgen aus Kunst und Theorie auf Fragen von Gender und Identität.
Mit der Etablierung der Topologie als mathematischer Disziplin haben topologische Konzepte seit dem frühen 20. Jahrhundert in vielfältigen Kontexten zentralen Stellenwert erlangt. Waren es zunächst die Naturwissenschaften, die neue Theorien von Raum, Zeit und komplexen Mannigfaltigkeiten entwickelten, so interessierten sich bald auch die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Künste für topologische Relationen und Konzepte wie die Vierte Dimension, das Prinzip stetiger Transformation und die paradoxale Nicht-Orientierbarkeit von Strukturen, die in ihrer Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit nicht mit traditionellen Begriffen der Repräsentation zu vereinbaren sind. Insbesondere vor dem Hintergrund gestalttheoretischer, phänomenologischer, post/strukturalistischer und neomaterialistischer Ansätze sind topologische Denkfiguren und Verfahren wie das Verknüpfen, Vernetzen, Verzerren, Weben, Falten oder Umstülpen aus gegenwärtigen Diskursen und Praktiken nicht mehr wegzudenken. Damit liefern die relationalen und prozessualen Ansätze der Topologie auch ein Theoriemodell, um Fragen von Gender und Identität kritisch zu situieren und jenseits binärer Zuschreibungen neu zu denken.
Entgegen den oft oberflächlichen Begriffsaneignungen, die im Kontext des ›spatial turn‹ zu beobachten sind, legt die Konferenz ihren Fokus auf unterschiedliche Herkunftslinien topologischer Konzepte (Philosophie, Mathematik, Gestalttheorie, Psychoanalyse u.a.) und befragt diese mit Blick auf mögliche Ästhetiken und Politiken der Nicht-Orientierbarkeit. Konkret gilt es reale, imaginäre und symbolische Verhältnisse, soziokulturelle Konstellationen und Utopien im Sinne einer Logik der Transformation zu denken, derzufolge dichotome Kategorien wie Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Werk und Prozess nicht klar unterschieden sind, sondern vielmehr analog zur Struktur eines Möbiusbandes kontinuierlich ineinander übergehen. Im Sinne einer Kritik heteronormativer Zuschreibungen fragt die Konferenz nach topologischen Denkmodellen und Verfahren in Kunst und Theorie, mit denen traditionelle Genderstereotype und die damit verbundenen ästhetischen, institutionellen und gesellschaftlichen Herrschaftsformen durch Strategien der Umstülpung, Dehnung und Diffraktion (Karen Barad) durchkreuzt werden können.
Im Kontext psychoanalytischer (Jacques Lacan) und queer/feministischer (Luce Irigaray, Sara Ahmed) Ansätze kann das Konzept der Nicht-Orientierbarkeit in Bezug auf Prozesse der Des/Re/Orientierung und eine Logik des Sinns (in der Doppelbedeutung von frz. sens »Sinn, Richtung«, Gilles Deleuze) produktiv gemacht werden. Das Konzept der Nicht-Orientierbarkeit ist dabei nicht mit Begriffen wie Orientierungslosigkeit oder Unentschiedenheit zu verwechseln, in denen sich historische Zuschreibungen wie das antike Konzept der wandernden Gebärmutter (Platon), die Pathologisierung des Weiblichen in der modernen Hysterieforschung (Jean-Marie Charcot, Sigmund Freud) oder homo- und transphobe Diskriminierungen fortschreiben. Während heteronormative Geschlechterlogiken räumliche Kategorien wie innen und außen, oben und unten, nah und fern voraussetzen, die Weiblichkeit auf eine Gefäßfunktion reduzieren und sie damit einem passiven Objektraum zuweisen (Irigaray), lassen sich Prozesse der gelebten (sexuellen) Orientierung mit dem Konzept der Nicht-Orientierbarkeit auf Formen der Transposition (Rosi Braidotti) und Kohabitation (Ahmed) zurückführen und damit als relational, prozessual und unabgeschlossen denken.
Mit Blick auf eine historische Verortung von Ästhetiken und Politiken der Nicht-Orientierbarkeit ist zu betonen, dass gerade transdisziplinäre und künstlerisch-forschende Ansätze (auf technischer wie konzeptioneller Ebene) oft auf Verfahrensweisen rekurrieren, die dem traditionell weiblich besetzten Bereich des Textilen entstammen (Verknüpfen, Vernetzen, Weben, Flechten etc.) und die parallel zur Etablierung der Zentralperspektive infolge einer Monopolisierung und Hierarchisierung von Wissenskulturen zunehmend aus dem Feld der Kunst verdrängt wurden. Erst die Topologie hat die raumzeitliche Plastizität und Tiefe von Linien, Flächen und Körpern wiederentdeckt und damit auch die Bedeutung textiler Operationen für Kunst und Forschung offengelegt. Dieser erneute Einsatz topologischer Konzepte und Verfahren betrifft eine Vielfalt konkreter Anwendungen (etwa im Bereich der Textiltechniken und des Coding) ebenso wie gestalttheoretische Ansätze (Kurt Lewin, Jean Piaget) oder Theorien des Sensorischen (Maurice Merleau-Ponty, Michel Serres) und der Taktilität (Barad).
In der bildenden Kunst zeigt sich der queer/feministische Einsatz der Topologie nicht nur auf theoretischer und inhaltlicher Ebene, sondern insbesondere auch in der Erschließung neuer Handlungsräume und Instrumentarien. Gerade Künstler*innen, die aufgrund von Sexismus, Homophobie und/oder Rassismus von Exklusionsmechanismen betroffen waren, wandten sich mit relationalen, prozessualen und performativen Ansätzen gegen modernistische Konzepte von Werk und Autor*innenschaft. Partizipative, kollaborative und kuratorische Praktiken (Lygia Clark, Andy Warhol, VALIE EXPORT, Lucy Lippard) sind hier ebenso von Interesse wie Body Art, Performance und Happening (Yayoi Kusama, Senga Nengudi, VALIE EXPORT, Hannah Wilke), der Einsatz textiler Verfahren (Anni Albers, Rosemarie Trockel) oder Arbeiten zum De/Coding von Gesten, Taktilität und Interfaces (Josephine Pryde, Julien Prévieux).
In einer Verschränkung topologischer Praktiken und Konzepte versammelt die Konferenz Beiträge aus Kunst und Theorie, um eine Diskussion über mögliche Ästhetiken und Politiken der Nicht-Orientierbarkeit anzustoßen.
KONZEPTION: Sarah Kolb (Linz/Wien), Ilka Becker (Mainz/Köln)
Mittwoch 31. Mai
INTRO @ IFK & IFK@Zoom
14.45 bis 16.00 Welcome & Einführung | Sarah Kolb (Linz/Wien) & Ilka Becker (Mainz/Köln)
PANEL 1 @ IFK & IFK@Zoom | Moderation: Sabeth Buchmann
16.00 bis 16.45 Uhr, Paradoxe der borromäischen Psychoanalyse | Samo Tomšič (Hamburg)
16.45 bis 17.15 Uhr, PAUSE
17.15 bis 18.00 Uhr, The (Gendered) Topology of Artificial Intelligence | T'ai Smith (Vancouver)
18.00 bis 18.45 Uhr, Anni Albers: Conquering and Reorienting the Grid | Brenda Danilowitz (Bethany, Connecticut)
Donnerstag 1. Juni
PANEL 2 @ IFK & IFK@Zoom | Moderation: Ilka Becker
10.00 bis 10.45 Uhr, Leere widerständige Gefäße | Katrin Mayer (Berlin/Düsseldorf)
10.45 bis 11.30 Uhr, Subjekte, textile Strukturen und topologische Figuren | Hanne Loreck (Hamburg)
11.30 bis 12.00 Uhr, PAUSE
12.00 bis 12.45 Uhr, Step Away. Gedanken über queere Relationalität | Markues (Berlin)
PANEL 3 @ IFK & IFK@Zoom | Moderation: Sarah Kolb
14.45 bis 15.30 Uhr, VALIE EXPORTs Raumaufnahmen | Ulrike Hanstein (Linz)
15.30 bis 16.15 Uhr, Alles was man kann nicht sein – Hinwendung und Abwendung bei Senga Nengudi | Stephanie Weber (München)
16.15 bis 16.45 Uhr, PAUSE
16.45 bis 17.30 Uhr, Soziale Topologien in installativen Werkformen | Sabeth Buchmann (Wien/Berlin)
PANEL 4 @ VIKTORIA – RAUM FÜR KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG UND SOCIAL DESIGN
19.00 bis 19.45 Uhr, Singing the Shirt | Kerstin Schroedinger (Berlin)
im Anschluss DJs isa (@minbar.wien) und El Tigre (guest DJ @homoriental_vienna)
Freitag 2. Juni
PANEL 5 @ IFK & IFK@Zoom | MODERATION: ULRIKE HANSTEIN
10.00 bis 10.45 Uhr, Haptische Bilder — Körper als Unmenge | Karin Harrasser (Linz/Wien) & Katharina Müller (Wien)
10.45 bis 11.30 Uhr, Sex in Public | Emma Wolf-Haugh (Berlin/Dublin)
11.30 bis 12.00 Uhr, PAUSE
12.00 bis 12.45 Uhr, Topologien des Fleisches | Kathrin Busch (Berlin)
12.45 bis 13.30 Uhr, Lilith, geh weg. Lullaby oder Topologien des wiederkehrenden Endes | Anne von der Heiden (Linz) & Anouk Hoogendoorn (Amsterdam/Montréal)
DIE KONFERENZ FINDET HYBRID STATT.
Für die Teilnahme in Präsenz wird aufgrund beschränkter Plätze um Anmeldung via E-Mail gebeten: registration@ifk.ac.at.
Für die Teilnahme via Zoom ist eine Anmeldung via Website notwendig. Die Zugangsdaten werden anschließend via E-Mail übermittelt:.
Am Donnerstag 1. Juni findet das Abendprogramm im VIKTORIA Raum für künstlerische Forschung und Social Design Wien statt. Bitte beachten Sie, dass diese Programmpunkte nicht via Zoom übertragen werden.
Mehr Infos zu Programm und Teilnehmer*innen: www.ifk.ac.at und www.viktoria.wien
Gefördert durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des FWF-Elise-Richter-Projekts »Topologien der künstlerischen Forschung« von Sen. Sct. Dr.in Sarah Kolb, Abteilung für Kunstgeschichte & Kunsttheorie, Kunstuniversität Linz (Projekt Nr. V 813-G).