Eröffnung: 30. September 2022, 19.00 Uhr; Ausstellung bis 24. Mai 2023 Museumsquartier, Sternenpassage, Wien
Sabine Jelinek, Lehrende der Malerei und Grafik, lädt als Kuratorin des öffentlichen Kunstraumes „Sternenpassage“ im MuseumsQuartier Wien zur Ausstellung und Katalogpräsentation.
Der Künstler ist bei der Eröffnung anwesend.
"Einst dienten die Sterne am Himmel vor allem zur Orientierung auf der Erde: beispielsweise zur Bestimmung des Zeitpunktes der Aussaat im Jahreszyklus oder zur Positionsbestimmung von Schiffen auf dem Meer. Man wusste: Der Lauf der Sterne folgt festen Bahnen und ist unveränderlich. Dafür musste man nicht nach den Sternen greifen. Es wäre geradezu widersinnig gewesen.
Die Hände, die sich auf den Fotos der Serie Behind the Sun von Dimitrios Mavroudis in den Himmel strecken, scheinen aber ohnehin nicht nach etwas greifen zu wollen. Sie gleichen eher Kastanienblättern, die ihre gefiederten Einzelblätter vor der Sonne entfalten. Sie streben zur existenziellen Lichtquelle und verdecken sie dabei partiell. Mit poetischer Prägnanz verleiht die Serie durch die Metapher der Fotosynthese einer unserer Sehnsüchte Ausdruck: Ich sehe sie als Bilder des Verlangens, wie eine Pflanze eingebunden zu sein in den Kreislauf der Nährstoffe und Energien, also vegetativ verbunden mit den Wirkkräften des ganzen Universums. Dass solch eine Sehnsucht durchaus auf breitere Resonanz stößt, zeigte nicht zuletzt der Sensationserfolg des Romans Die Vegetarierin (deutsch 2016) der südkoreanischen Schriftstellerin Han Kang, in dem verstörend schön erzählt wird, wie sich eine Frau in einen Baum verwandeln will.
Die zweite Werkreihe von Dimitrios Mavroudis, Johann, verortet dieses Verlangen nach Verbindung jedoch wieder in einem Körper aus Fleisch und Blut. Die Serie porträtiert einen nackten jungen Mann. Die meisten Fotos zeigen ihn im Wasser einer Badewanne. Die Wärme durchdringt ihn und lässt sein Gesicht, seine Haut rot aufleuchten. Der Fotograf erfasst diesen Moment nicht nur mit voyeuristischem Blick, er hält ihn mit seiner Kamera auch buchstäblich als Lichterscheinung fest. Der junge Mann erscheint dadurch gleichsam wie eine irdische Personifikation von Eos, der anmutigen, rosenfingerigen Göttin der Morgenröte. Wie ihre Geschwister, der Sonnengott Helios und die Mondgöttin Selene, hat auch Eos ursächlich mit Licht zu tun. So sind sie prädestiniert für die Fotografie und die Reflexion, aber dafür mit Händen nicht greifbar.
Auch wir auf Erden sind uns mitunter Sterne."
Text: Vitus Weh (*1965) ist Ausstellungsmacher, Kunstkritiker und Kurator für Kunst am Bau. 2002 Konzeption des Q21 / MQ Wien, seit 2006 Etablierung von Mikromuseen und Themenpassagen ebendort. Seit 2013 künstlerischer Berater und Kurator der Esterházy Privatstiftungen. Seit 2018 Präsident des Kunstvereins Eisenstadt. Er lebt in Wien.
Dimitrios Mavroudis (*1991 in Minden, Deutschland) absolvierte sein Diplomstudium für Malerei und Grafik an der Kunstuniversität Linz mit Auszeichnung. Seit seinem Abschluss 2016 arbeitet er vermehrt im Bereich Fotografie und bedient sich dabei oft installativen und multimedialen Formaten. Zurzeit lebt und arbeitet er in Berlin.
www.dimitriosmavroudis.com
www.instagram.com/sternenpassage
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The hands stretched out into the sky in the photographs of Dimitrios Mavroudis's series Behind the Sun don't seem to be reaching for much of anything anyway. They resemble chestnut leaves unfolding their feathery blades in the sun. They strive toward an existential light source while partially covering it. In succinctly poetic fashion, the series uses photosynthesis as a metaphor to give expression to one of our great yearnings: I see them as pictures of longing to be included in the nutrient cycle, like a plant – which is to say, vegetatively connected to the forces of the forces of the entire universe.
Text, excerpt: Vitus Weh
The exhibition by INKA & NIKLAS will be on display at Sternenpassage until 29. September 2022.