Installation
22. Juni bis 5. Juli 2020
Galerie WHA, Kunstuniversität Linz, Domgasse 1
Es ist dunkel geworden im geschlossenen Raum des Inspektorats, der Tag neigt sich dem Ende zu. Die Kriminalistin erhebt sich von ihrem Schreibtischstuhl und wendet ihren Blick vom Computermonitor ab. Sie beginnt vor der Wand des Büros hin und her zu gehen, grübelnd, zögernd, rekapitulierend und mit dem festen Willen, zu einer klärenden Hypothese zu kommen.
In vielen Kriminalfilmen ist die sogenannte »Crazy Wall« ein Instrument für die Generierung einer Erkenntnis oder zumindest ein festes Symbol für die Denkarbeit. Die Ermittler*innen haben auf Pinnwänden, Glaswänden, Tafeln oder Whiteboards Material gepinnt, Ausschnitte aus Presseartikeln, Fotos, Kopien, Bilder von Tatorten und Notizen zusammengestellt. Linien, Fäden oder Pfeile machen Zusammenhänge sichtbar, die sich im Prozess der gemeinsamen Arbeit ergeben haben. An manchen Stellen ballen sich die Bezüge; an anderen bleiben Leerstellen, ist eine mögliche Verbindung fraglich oder eventuell zu konstruieren oder zu verwerfen.
Der Status des Mappings ist eher flüchtig, zeigt das »spezifische So-Sein« nur in einem Moment. Die Präsentation ist auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, bleibt im Verborgenen und bildet ein Kommunikationsmedium für jene, die sich im Inneren befinden. Topologisch ist vieles unsicher, offen, auch wenn die rhizomatische Struktur alles Mögliche einbaut, Unterschiedlichstes mitbedenkt, heranzieht, auf Welten und mögliche Gegenwelten referiert, die sich an anderen Orten befinden. Die »Crazy Wall« bleibt ein Medium im geschlossenen Raum.
Studierende der Lehrveranstaltung Quarantäne haben sich im Sommersemester 2020, ausgehend von der eigenen Situation, in der sie im sogenannten »Distance Learning« nur über die Tools von Moodle, Zoom und Webex miteinander und mit mir Kontakt standen, intensiv mit geschlossenen Räumen und den Praktiken und Prozessen der Isolierung von Menschen auseinandergesetzt; im Kontext der Covid-19-Krise und weit darüber hinaus in Geschichte und Gegenwart.
Sie präsentieren auf diese Weise eine nicht öffentliche Ausstellung. Die zurzeit nicht zugängliche WHA-Galerie der Kunstuniversität ist der Ort des Projekts, an dem momentan ein Mitarbeiter als Pförtner den Einlass der Studierenden koordiniert. Er notiert, verzeichnet, ermöglicht im Auftrag des Rektorats den Zugang zu einzelnen Räumen und Werkstätten für eine bestimmte Anzahl von Menschen zu einer bestimmten Zeit. Zutritt ins Gebäude haben Studierende in diesen Tagen nur, wenn sie sich bei ihm anmelden. Er ist der Kommissar.
Die nur für die Mitarbeiter*innen der Kunstuniversität sichtbare Glaswand mit all den Zetteln und Notizen, hinter der er seine Kontrollfunktion ausübt, referiert damit auch auf eine Kunst ohne Öffentlichkeit, die es in der Kunstgeschichte schon in verschiedenen Kontexten gab und die jeweils aufgrund verschiedenster Umstände entstand (beispielsweise die Kunst im Verborgenen der Russischen Nonkonformisten).
Die Studierenden zeigen Materialien, die im Kontext ihres Schreibens an kunst- und kulturwissenschaftlichen Essays entstanden sind. Beispielsweise geht es um die ›Archive‹ oder Lagerräume der Prepper Szene, die von einer potentiellen Gefahr oder Katastrophe in der Zukunft getrieben geschlossene Räume konstruieren. Sie statten diese Räume mit allen Dingen für eine imaginäre Zukunft in der Isolation aus. Es geht zudem um Lager und Gefängnisse heute, um Formen der Einzelhaft, um Giorgio Agambens »Homo Sacer«, um Abu Ghraib, um Folter, um Jeremy Benthams »panoptische Maschinerie«, um die Darstellungstraditionen von Paradiesgärten und Konzepten des »hortus conclusus«, um Techniken der Askese, Künstler*innenateliers, um Frauen, die sich freiwillig oder gezwungenermaßen alleine ›draußen‹ aufhalten, um wissenschaftliche Expeditionen im ewigen Eis und die vielfältigen Experimentalräume der Wissenschaften, um die Stimmen der Kinder, die während des Homeschoolings im Nebenraum warten müssen und die Seminare und Sitzungen nicht stören sollen, um die aktuellen Verstärkungen von Ungleichheiten im Hinblick auf das Wohnen am Beispiel der Stadt Wien...
Betreut von: Anne von der Heiden