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VORTRAG

Genealogie der sexuellen Gewalt

11. bis 12. November 2010 Heinrich-Heine Universität Düsseldorf

Überlegungen zum Film Grbavica/Esmas Geheimnis

Vortrag von Dr. Angela Koch im Rahmen der Tagung "Folterbilder und -Narrationen. Verhältnisse zwischen Fiktion und Wirklichkeit" an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.

Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen waren und sind ca. 20.000 Frauen und Mädchen im jugoslawischen Bürgerkrieg Anfang der 1990er Jahre von sexueller Gewalt betroffen. Die Angriffe erfolgten meist von serbischen Soldaten und paramilitärisch organisierten Einheiten gegen nicht-serbische Frauen, es gab allerdings auch Vergewaltigungen durch Kroaten und Muslime. Viele der Frauen wurden in Internierungslager gebracht, aber auch in private Unterkünfte verschleppt und teils über Monate sexuell misshandelt und vergewaltigt. Oft wurden die Frauen dazu gezwungen, entstandene Schwangerschaften auszutragen. Der Film Grbavica (dt. Esmas Geheimnis von Jasmila Žbanić, Österreich, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Kroatien 2005) greift das Thema des Überlebens mit dem Trauma der sexuellen Gewalt auf.
In meinem Vortrag möchte ich anhand von Grbavica der Frage nachgehen, wie der Film die nachhaltige Verletzung und Depersonalisierung durch sexuelle Gewalt visualisiert und erzählt. Dabei gehe ich – trotz der gegenwärtigen Tendenz der expliziten Darstellung von sexueller Gewalt im Film (Irréversible, Baise-moi, The Accused etc.) – von der These aus, dass sich sexuelle Gewalt der Visualisierung entzieht, da sie v.a. als psychische Erfahrung und Erinnerung existiert und im Bild und der Erzählung immer einer Übersetzungsleistung bedarf (vgl. auch Bal 1990). Die Erniedrigung, der Schmerz, die Destruktion sind visuell kaum objektivierbar; insofern ist die Vergewaltigungserfahrung mit der Foltererfahrung vergleichbar. In dem Film Grbavica werden die sexuelle Gewalt als Folter, die Traumatisierung und das Leben mit der Tochter, die bei den Vergewaltigungen gezeugt wurde, zusammengeführt. Dabei durchdringt die sexualisierte Form der erlebten Gewalt sowohl den Alltag der Mutter und der Tochter als auch die Beziehung der beiden untereinander. Im Gegensatz zu den vielen Spielfilmen, die sexuelle Gewalt zeigen und dabei Geschlechterdifferenzen herstellen, festschreiben, aber auch überschreiten, spart Grbavica die explizite Darstellung der sexuellen Gewalt aus.  Hier stellt sich die Frage, welchen Einfluss die andere Narration und Visualisierung des Erlebnisses der sexuellen Gewalt, die Jasmila Žbanić mittels Beziehungsgeflechten und Metaphern in Grbavica versucht, auf die Inszenierung der Geschlechter hat.

Booklet.pdf

www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/folter