Einreichungen bis 31. Mai 2020 Ars Electronica Festival 2020
Vom "Psychopathen" zum Zweit-Ich hat das Profil eine überraschende Karriere hingelegt. Kein Tag vergeht, an dem wir nicht aufgefordert werden, ein neues Profil anzulegen. Während Terrorabwehr und Rasterfahndung Abweichungen messen, um Schläfer und zukünftige Staatsfeinde aufzuspüren, wünschen sich viele nichts sehnlicher, als mit statistischer Devianz die Zahl der Hits und Likes in den sozialen Medien zu mehren. Sie wollen die Spuren der eigenen Daten kuratieren, das digitale Double als Starschnitt entwerfen. Desto unheimlicher werden sie berührt, wenn ihre Profile mit KI zu Leben erwachen. Um 1978 fand eine Metapher Eingang in die englische Androidenforschung, die der Robotiker Masahiro Mori 1970 geprägt hat: das "uncanny valley". Werden Roboter zu menschenähnlich, verbreiten sie Furcht und Schrecken, sie fallen ins "unheimliche Tal". 50 Jahre später bröckelt der Glaube an das "uncanny valley". Unsere Körper und Identitäten sind durch RFID-Chips, GPS, NFC und Körpersensoren vielfältiger Art selbst zu Interfaces geworden - zu Mauszeigern und Prothesenhänden, mit denen Algorithmen unsere Profile nachzeichnen und weiterschreiben. Heute scheint das Tal, das Mori zwischen Industrieroboter und Nō-Maske aushob, nivelliert. Die Untoten sind nicht die Humanoiden sondern wir.
Das Symposion "Unheimliche Freunde" lädt ein, Moris "unheimliches Tal" erneut zu besuchen. Dabei soll die Aufmerksamkeit weniger auf einer Menschen- oder Maschinenähnlichkeit liegen. Denn sie setzt ein Wissen darüber voraus, auf welcher Seite Industrieroboter, Menschen oder ihre digitalen Doubles zuhause sind. Unheimlich sind nicht die Androiden, sondern die Always-on-Interfaces, die Siris und Alexas, die ungefragt und unbemerkt zu uns Kontakt aufnehmen, das Leben bis zum letzten Atemzug aufzeichnen und auswerten. Ungestüm sind die Deepfakes, die mit wenigen Stills und Soundpieces digitale Klons entwerfen, monströs die Körpersensoren und Überwachungssysteme, die uns wie Schläfer und zukünftige Terroristen behandeln. Gefragt werden soll darum nach den Modellierungen, Anpassungen und Optimierungen der physischen Interfaces, nach den Technologien, den nomadischen und fluiden Kulturtechniken, den kulturellen, religiösen, ästhetischen, psychischen oder technischen Codes der Kopplungen, die eine wechselseitige Ähnlichkeit, Bindung und Vertrautheit zwischen Menschen, digitalem Ding und Interface erst herstellen. Wie lassen sich die gegenwärtigen Formen der KI thematisieren, kritisieren und gestalten? Welche Kulturen und Architekturen der Kontrolle werden durch die neuronalen Netze entworfen? Mit welchen Begriffen, Metaphern, Erzählungen, welchen Utopien oder spekulativen Objekten wird Medien-, Kultur- oder Gesellschaftskritik in einer weitgehend immersiven Medienlandschaft möglich? Gibt es zwischen Stofftier, Maske, Leichnam und Puppe, die Mori im unheimlichen Tal ansiedelt, eine neue Theorie des digitalen Subjekts? Und angenommen Algorithmen, digitale Haustiere und Humanoide sind Subjekte wie wir - wie müssten Menschen zwischen Wiedergänger und Handprothese für Maschinen beschaffen sein, wo liegt das unheimliche Tal der Maschinen? Und was folgt für unsere Zukunft daraus?
Wir freuen uns auf Einreichungen aus dem interdisziplinären Fächerspektrum der Technik-, Film-, Kultur- und Medienwissenschaften, den Designwissenschaften und den Künsten.
1-2 Seiten Abstract für einen dreißigminütigen Vortrag und CV bis zum 31.5.2020 bitte an unheimliche.freunde@ufg.at senden. Fahrtkosten und Übernachtungskosten können bei externen Einreichungen übernommen werden.
Die Tagung der Abteilung Medientheorien der Kunstuniversität Linz findet in Kooperation mit dem Internationalen Forschungszentrum der Kulturwissenschaften Wien und der AG Daten und Netzwerke der Gesellschaft für Medienwissenschaft statt.