Bis heute verweist keine Tafel, kein Denkmal, kein Schild auf die Geschichte der Brücke. Erstmals setzt sich nun eine Ausstellung mit ihrer Geschichte auseinander – und stellt Fragen danach, wie belastete öffentliche Objekte ausgestellt und besprochen werden sollen.
Die Linzer Nibelungenbrücke ist eine zentrale Verkehrsverbindung zwischen dem Linzer Hauptplatz und Urfahr. Sie wird nicht nur von Autofahrer*innen, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen genutzt, sondern auch vom öffentlichen Nahverkehr wie Straßenbahnen und Bussen. In der Nähe der Brücke befinden sich Anlegestellen für die touristische Donauschifffahrt. Die Nibelungenbrücke stellt für viele Linzer*innen eine ganz alltägliche Verbindung auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zu den Universitäten, zum Einkaufen oder zu Freizeitaktivitäten dar.
Vielen ist dabei nicht bewusst, dass die Nibelungenbrücke ein NS-Bau ist. Sie wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich gebaut. Sie sollte nun nicht mehr nur der Überquerung der Donau dienen, sondern auch die Ideologie des NS-Regimes repräsentieren. Die Brücke wurde nach der als „deutsch“ stilisierten Heldensage der Nibelungen benannt und auf ihr sollten Skulpturen der wichtigen Held*innen der Nibelungen aufgestellt werden.
Wissen Sie, warum die Brücke Nibelungenbrücke heißt?
Beim Bau der Brücke wurde Granit aus den Steinbrüchen der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen verwendet und sie wurde auch unter Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeit errichtet.
Bis heute verweist keine Tafel, kein Denkmal, kein Schild auf die Geschichte der Brücke.
„Wissen Sie, warum diese Brücke Nibelungenbrücke heißt?“: Fast niemand, erklärt die Historikerin Birgit Kirchmayr, konnte die Frage beantworten, die Studierende im Public-History-Projekt Nibelungenbrücke Passant*innen gestellt haben. Dies wundere wenig, ergänzt die Assoziierte Universitätsprofessorin für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, finde sich doch auf der Brücke selbst keinerlei Information zu ihrem Hintergrund: „Umso mehr wollten wir gemeinsam in den Archiven graben, der Geschichte der Brücke nachgehen und sie in eine Ausstellung verpacken, die das Vergessene wieder hervorholt und diskutierbar macht.“
Erstmals setzt sich nun diese Ausstellung mit der Geschichte der Nibelungenbrücke auseinander, stellt Fragen danach, wie belastete öffentliche Objekte ausgestellt und besprochen werden sollen und entwirft Utopien und Visionen für einen zeitgemäßen Umgang mit dem Themenkomplex Geschichte, Materialität und Erinnerungsarbeit.
Die Ausstellung ist in den unmittelbar angrenzenden Brückenkopfgebäuden zu sehen, die ebenfalls NS-Bauten sind, worauf Angela Koch, Medienwissenschafterin und Universitätsprofessorin für Medienästhetik hinweist: „Während der NS-Zeit sind nicht nur Repräsentationsbauten wie die Brückenkopfgebäude oder Wohnungen entstanden, sondern auch Bauten und Bauwerke, die der Infrastruktur bis heute dienen. Diese werden selten thematisiert, lassen sich häufig weder baulich noch funktional verändern und sind meist unhinterfragter Teil unseres Alltagslebens. Es ist daher umso wichtiger, ihre Bedeutung und Benennung zu diskutieren! Das wollen wir mit der Ausstellung tun.“
Nibelung*innen
Inhalte der Ausstellung und Konzept wurden von Studierenden der Kunstuniversität und der Johannes Kepler Universität Linz vor allem im Rahmen des gemeinsamen Bachelorstudiums Kulturwissenschaften erarbeitet. Ergebnisse ihrer künstlerisch / wissenschaftlichen Forschungstätigkeit sind u. a. eine feministische Neuerzählung des Nibelungenmythos, unterschiedliche künstlerische und wissenschaftliche Dekonstruktionen des Motivs patriarchaler Heldenfiguren, eine umfassende Darstellung der Baugeschichte zur Brücke und Ergebnisse der Beforschung der Biographien von Linzer Bürger*innen, die im Zuge der Errichtung der Brücke ab 1938 und der dafür angeordneten städtebaulichen Maßnahmen enteignet wurden.
Eine wichtige Kooperation ist mit der Plattform „SOUNDING LINZ“ gelungen, um die Brücke auch akustisch erfahrbar zu machen.
Die Ausstellungsgestaltung von Lena Heim und Rosalie Siegl greift fragmentarisch Elemente der Brücke auf, die durch eine Neuzusammensetzung entkontextualisiert, neu interpretiert und in Kombination mit Signalfarben inhaltlich gegenwärtig aufgeladen werden. Als Schriftbild werden Typografien der Sammlung „BADASS LIBRE FONTS BY WOMXN“ verwendet, eine Kollektion, die Sichtbarkeit für weibliche Schriftgestalterinnen schafft und deren Schriften als Open Source Fonts für kollaboratives Gestalten zur Verfügung gestellt werden.
Partizipation erwünscht
Besonderen Stellenwert haben Begleitprogramm und der partizipative Charakter der Ausstellung. Neben Vermittlungsangeboten seitens der beteiligten Studierenden und Projektinitiatorinnen sind etwa Besucher*innen eingeladen, sich am Diskurs zu aktuellen Themenstellungen zu beteiligen. Das Äußern und Einbringen von Ideen, Wortschöpfungen, Anregungen, Kritik, Bildern etc. rund um den Begriff der „Brücke“ einerseits und speziell zur Thematik „Nibelungenbrücke“ ist ausdrücklich erwünscht. Tafeln, ein Gästebuch und Postkarten laden ein, sie als Medien der Teilhabe zu verwenden.
Transgenerational überlieferte Erinnerungen, die innerhalb von Familien kursieren, Fotografien oder Objekte, die mit der Brücke und ihrer Errichtung in Zusammenhang stehen und zum Diskurs und zu neuen Erkenntnissen beitragen, sind sehr willkommen. Ebenso Ideen und Utopien, um an einem Entwurf für einen bewussten, gegenwärtigen Umgang mit Objekten wie der „Nibelungenbrücke“ mitzuwirken. Diese Beiträge können wiederum in die Diskussionsrunden einfließen, die unter Beteiligung internationaler Expert*innen stattfinden.
Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung zur Diskussion um die „Nibelungenbrücke“ sind Plakate, mit denen Studierende und Lehrende der Kunstuniversität ihre Fragen, ihre Wünsche, ihre Utopien zur Brücke formulieren und öffentlich ausstellen können. Die – bewusst ephemer konzipierte - Ausstellung dieser Plakate in der Unterführung, die baulich in den Brückenkomplex integriert ist, wurde durch eine Kooperation mit der Firma Gutenberg-Werbering möglich. Die Plakate sind bis 1. Dezember zu sehen, sie werden möglicherweise überklebt, übermalt und mit Anmerkungen versehen – diese Veränderungen werden täglich fotografisch dokumentiert.
Das Projekt stammt von Birgit Kirchmayr vom Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Johannes Kepler Universität sowie Angela Koch und Wiltrud Hackl vom Institut für Medien an der Kunstuniversität Linz und Co.Lab für Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken. Für das Ausstellungsdesign zeichnen Lena Heim und Rosalie Siegl verantwortlich.
Beteiligte Studierende sind: Fabiola Benninger, Sophie Buchner, Thea Burkhard, Flora Goldmann, Stefanie Grasberger, Lena Himmelbauer, Julia Höglinger, Maria Keplinger, Thomas Obristhofer, Darina Scholz, Marina Sladojevic, Marina Weinzierl, Janice Wette, Paula Ursprung und Jasmin Ziermayr.
ÜBER EINE BRÜCKE
… gehen / fahren / schreiben / forschen / reden / streiten …
Ausstellung von Mi, 20. Nov. bis Mi, 18. Dez., jeweils Mo bis Fr, 11:00 bis 18:00 Uhr
Eröffnung: Mi, 20. Nov. 18:00 Uhr
An der Kunstuniversität Linz, Hauptplatz 6 (Aula, Lichthof West, Infopoint, Vestibül und Fußgänger*innenunterführung (Besichtung der dortigen Plakatwand bis Sa, 1. Dezember)
Diskussionen
Dienstag, 26. November 18:00 Uhr: Eine Torte für die Brücke
Wiltrud Hackl von der Kunstuniversität Linz im Gespräch mit den Künstler*innen Anna Pech & Moritz Matschke
Dienstag, 3. Dezember 18:00 Uhr: Kontaminierte Objekte & Gebäude
Angela Koch von der Kunstuniversität Linz im Gespräch mit Eva Meran vom Haus der Geschichte Österreich
Donnerstag, 12. Dezember 18:00 Uhr: Nibelungsmythos und Nationalsozialismus
Birgit Kirchmayr von der Johannes Kepler Universität Linz im Gespräch mit Robert Schöller von der Universität Fribourg / CH