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Postdigitale Kulturen

Die letzten Jahre, nicht zuletzt die Pandemie-Ereignisse 2020, haben drastisch vor Augen geführt, dass Digitalität unumkehrbar ist und sich in sehr viele Lebensbereiche eingeschrieben hat, und das weltweit, wenn auch unter sehr verschiedenen Bedingungen und mit hochgradig asymmetrischen Effekten. Zum einen ist digitale Kommunikation eine weltumspannende conditio sine qua non, zum anderen ist die Herstellung, Verteilung und Entsorgung von digitalen Geräten ein Paradebeispiel global ungleicher Verteilung von Kosten und Nutzen. Durch die Forcierung von Künstlicher Intelligenz in Forschung und Industrie haben zudem algorithmische Optimierungs- und Kontrollmechanismen unauffällig im Alltag und in großen Gebieten der Produktion Platz genommen. Hinzu kommen ganz neue Skalierungen von Sicherheitsfragen, von Überwachungsmöglichkeiten, aber auch von Möglichkeiten der bottom-up-Produktion von Maschinen, Software und Medienprodukten. Immer deutlicher, gerade auch durch die Ad-hoc-Steigerung der Erfahrungen mit Homeoffice und Distanzlehre, tritt zu Tage, dass Verhältnisse wie die von digital und analog, von Distanz und Nähe, von Automatisierung und spontaner Kommunikation / Kreation Kernfragen eines wachen Umgangs mit digitalen Technologien sein werden. Digitale Technologien bilden heute jedoch auch eine wichtige Basis für die Erweiterung existierender Designmethoden. Sie ermöglichen das Gestalten komplexer, informierter Materialien, Formen und Reaktionen und eröffnen neuartige Produktionsmethoden, welche gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen mit sich bringen, zum Beispiel durch die Erneuerung traditioneller Prozesse oder neuer Wege einer lokalen Her- stellung. Im Schwerpunkt „Postdigitale Kulturen“ nähert sich die Kunstuniversität Linz diesen Kernfragen kritisch analysierend, experimentierend, nachhaltig gestaltend. Die Universität hat über Jahrzehnte große Expertise im Bereich der digitalen und analogen Medien aufgebaut und vielfältige Zugänge entwickelt, die sich von künstlerischen Realisierungen von Medien- und Interfacekunst über Kreative Robotik bis hin zur Malerei als Medium der Reflexion des Digitalen erstreckt. Gearbeitet wird projektbasiert und im Team mit verschiedenen Medienformaten und Materialien. Der Bezug auf Mediengeschichte, kulturelle und politische Dynamiken und transmediale Strategien stärkt den eigenständigen Umgang mit visuellen, auditiven und multisensorischen Ausdrucksformen, Produktions- und Präsentationsverfahren. An der Schnittstelle von Medienkritik und Szenarioforschung soll zukünftig das Co.Lab Büro für nützliche Fiktionen die gesamte Spannbreite digitaler Kulturen, ihre Alternativen und Möglichkeiten, in hybriden und öffentlichkeitswirksamen Formaten befragen und erforschen. Zusätzlich zum erfolgreichen viersemestrigen wissenschaftlich-künstlerischen Master Medienkultur- und Kunsttheorien wird sich ein neuer Master Art & Technology (Arbeitstitel) gegenwärtigen und zukünftigen digitalen Kulturtechniken im weiten und transdisziplinären Feld ästhe- tischer, kultureller, urbaner, sozialer und politischer Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse widmen. Von zentraler Bedeutung im Sinne von open science wird die eigenständige Entwicklung nicht-proprietärer Tools und Infrastrukturen für die künstlerische Arbeit, für die Lehre und die Kommunikation sein, ggf. mit geeigneten Kooperationspartner*innen. Bestehende Stärkefelder, wie etwa Interface Cultures, werden ausgebaut, zudem wird eine Professur Akustische Ökologie und ein Studien- angebot in diesem Bereich geschaffen werden. Das Masterstudium Postdigitaler Instrumentenbau soll in Kooperation mit der Anton Bruckner Privatuniversität eingerichtet werden. All dies ist eine Antwort auf ein schon lange bestehendes Interesse für den innovativen Sektor der (digitalen) Klangkunst. Das Gebiet der Medien- und Bildkompetenz, also der visuellen Kommunikation in ihrer ganzen Breite und Tiefe, wird mit einer Professur für Bildgebende Verfahren verstärkt werden. Der Bereich Medienkunst soll mit einer Professur im Bereich Mediengestaltung nachbesetzt und im Hinblick auf Lehramtsstudien weiterentwickelt werden. In zahlreichen Kooperationen mit universitären und außeruniversitären Partner*innen wie dem VALIE EXPORT Center (die namensgebende Künstlerin ist bekanntermaßen eine Pionierin digitaler Medienkunst), der Ars Electronica, dem Futurelab, dem LENTOS Kunstmuseum oder der Medienwerkstatt Wien werden künstlerische und wissenschaftliche Projekte in den Bereichen Bild und Ton, Interaktivität, Grafik- und Kommunikationsdesign, analoge und digitale Fotografie, Film / Video, performative Medien und zeitbasierte Kunst durchgeführt. Auch für die gestaltenden Disziplinen (Architektur, Raum und Design) bietet die digitale Transformation große Potenziale. Das Wechselspiel zwischen digital / virtuell und materiell / sinnlich ebenso wie nachhaltig-innovative Materialforschung sind zentrale Inhalte in Lehre und Forschung bei Fashion & Technology, Industrial Design und Architektur. Das Potenzial, das sich aus dem Zusammenspiel traditioneller Technologien und Materialien mit aktuellen und zukunftsweisenden Entwicklungen aus diesen Bereichen ergibt, wird gestärkt und weiterentwickelt. Mit entsprechenden Laboren wird die (Grundlagen-)Forschung ausgebaut. Diese Labore stehen in Zukunft auch für Kooperationen verstärkt zur Verfügung. Das Labor für Kreative Robotik wird seinen Tätigkeitsschwerpunkt in der interdisziplinären, anwendungsorientierten Entwicklung von inno- vativen Roboterprozessen an den Schnittstellen von Kunst / Gestaltung / Wissenschaft / KMU / Industrie deutlich ausbauen. Last, but not least muss betont werden, dass die Rahmenbedingungen und Anforderungen der Digitalisierung aktuell und zukünftig eine immense Herausforderung für den gesamten Universitätsbetrieb darstellen. Neben den zusätzlichen personellen und infrastrukturellen Ressourcen für die Weiterentwicklung der oben dargestellten künstlerischen, gestalterischen und wissenschaftlichen Fächer sollen digitale Kompetenzen flächendeckend als Studieninhalte vermittelt werden. Zusätzliche Budgets sind insbesondere für die Digitalisierung der Ver- waltung, ihrer Abläufe und Strukturen vonnöten. Auch die Zugänglichmachung von künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten in open access, etwa durch offene Repositorien, wird Mitteleinsatz nach sich ziehen. Um nachhaltigen, ressourcenschonenden Technologien den Vor- zug geben zu können, sind substanzielle Investitionen notwendig.