Johanna Pflaum
Kollektion, 2014
Bachelorarbeit, Mode
Im Zuge meiner theoretischen Bachelor-Arbeit setze ich mich in erster Linie mit dem ungarischen Filmemacher Béla Tarr auseinander und beziehe mich anschließend auf die Mode- und Filmindustrie des 21. Jahrhunderts.
Béla Tarr ist bekannt für seine besonders lang andauernden, ungeschnittenen Einstellungen, die Verwendung von analogem Bildmaterial, die Zirkulationen in den Handlungen und die ausgewogene Komposition seiner schwarz-weißen Bilder. Seine bekanntesten Filme sind unter anderen Damnation (1984), Satantango (1994), welcher eine Länge von 419 Minuten aufweist, und The Turin Horse (2007).
Tarr drehte im Zeitraum zwischen 1977 und 2011 insgesamt neun Langspielfilme, welche in zwei Schaffensphasen eingeteilt werden können und als ein ganzes betrachtet werden sollen, da sie durch ihre Inhalte und die ästhetischen Mittel alle miteinander verbunden sind.
Der ungarische Regisseur, welcher im sozialistischen Ungarn aufwuchs befasste sich in seinem frühen Schaffen hauptsächlich mit den gesellschaftlichen und politischen Problemen in der Zeit des Sozialismus. Entgegen eines immer schneller fortschreitenden Wandels und stets an Geschwindigkeit zunehmenden Alltags wurden Béla Tarrs Filme immer langsamer und reduzierter. Mit der Zeit rückten die Handlungen vom städtischen in ländliche Umgebungen und die anfängliche Fokussierung auf seine Charaktere durch Nahaufnahmen wich langen, totalen Einstellungen.
2007 kündigte er die baldige Beendigung seiner Karriere an. 2011 drehte er seinen letzten Film The Turin Horse, welcher vom Untergang der Welt handelt.
Tarr war oft Jahre lang damit beschäftigt seine kommerziell nur schwer verwertbaren Filme finanzieren zu können, er blieb seiner Bildsprache dennoch treu und verweigerte sich dem dynamischen Mainstream-Kino des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Er erzeugte auch in The Turin Horse analoge, Schwarz-Weiß-Bilder, welche er in langen, ungeschnitten Kameraeinstellungen in Szene setzte.
Sowohl die Flm- als auch die Modeindustrie haben sich den schnellen Entwicklungen des Alltags angepasst. Durch die verkürzten Produktionszyklen und die Dynamik der meisten Filme wird eine kritische Auseinandersetzung mit Bild- und Formsprachen erschwert. Im Mainstream wird der Geschmack zugunsten der Masse bestimmt, um eine Selbstfinanzierung und Vermarktbarkeit zu garantieren. Sobald etwas für die Allgemeinheit geschaffen wird, findet eine Vereinheitlichung statt, welche sich gegen die Individualität des Menschen richtet.
Sowohl die Mode- als auch die Filmindustrie passen sich den schnellen Rhythmen des 21. Jahrhunderts an.
Die Mode stellt ihre Aktualität schon nach kürzester Zeit in Frage, indem nach nur wenigen Monaten neue Trends produziert werden, welche konsumiert werden sollen. Da man sich durch sein Äußeres identifiziert kann mit dem schnellen Wandel und der Austauschbarkeit eine Entfremdung einhergehen.
Carol Christian Poell entzieht sich den Zyklen der Modebranche und schafft sich eigene Rhythmen. Er legt den Fokus seiner Arbeit auf das Experimentieren mit organischen Materialien. Durch seinen konzeptionellen Ansatz hinterfragt er die Mode an sich in einer Zeit des Überflusses.
Durch seine modekritischen Präsentationen kritisiert er die gesamte Branche und betrachtet gängige Strukturen kritisch.
Tarr und Poell fokussieren ihre Arbeiten auf ästhetische und inhaltliche Aspekte.
In einer Zeit des schnellen Wandels und des Überflusses wird die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Mode und des Film immer präsenter. Tarr und Poell geben meiner Meinung nach beiden Bereichen einen tieferen Sinn, weil sie ihre Arbeiten durch eine kritische Auseinandersetzung ergänzen und sich durch das Produzieren zeitloser Werke der Austauschbarkeit entziehen.
KOLLEKTIONSANALYSE
Der Titel meiner Kollektion lautet Zeit im Nebel und bezieht sich sowohl auf Béla Tarrs Filme als auch auf den Akt des Jagens.
Noch bevor ich mich mit einem konkreten Thema auseinandersetzte, versuchte ich durch geeignetes Bildmaterial eine Stimmung zu erzeugen, welche die weiteren Arbeitsprozesse und meine Entwürfe prägen sollte. Ich war auf der Suche nach Darstellungen einsamer und karger Gegenden, dabei stieß ich auf die Filme des ungarischen Regisseurs Béla Tarr. Anfangs ließ ich mich rein ästhetisch von ein paar Bildern aus The Turin Horse (2011) inspirieren. Nach und nach setzte ich mich schließlich tiefgründiger mit Tarrs Schaffen auseinander und bezog einige seiner ideologischen Aspekte in meine Arbeit mit ein.
Ich wollte eine Kollektion schaffen, welche sich gegen die Schnelllebigkeit des Alltags und den damit verbundenen Wandel richtet.
Im Zuge weiterer Recherchen nahm ich an einer Jagd teil, bei welcher ein Gamskitz geschossen wurde. Die Erfahrungen, welche ich im Zuge der Tötung und aller weiteren Prozesse, wie dem Ausnehmen, dem Zurichten und dem Gerben machte, wurden Teil meiner Kollektion.
Bei den Schnitten orientierte ich mich vor allem an der Herrenschneiderei, da ich in ihr etwas Konstantes sehe. Ich ergänzte weite Mäntel durch große Kapuzen oder hohe Krägen als Schutz vor Kälte und Wind. Dabei entstand eine Kollektion, welche sowohl von Männern als auch von Frauen getragen werden kann.
Bei den Farben reduzierte ich mich weitestgehend auf Grau- und Schwarztöne. Ich wollte einerseits damit auf die grundlegend düstere Stimmung der Kollektion verweisen, andererseits wollte ich dadurch auch Zeitlosigkeit erzielen. Die Materialien sind größtenteils organischen Ursprungs, ich verwendete hauptsächlich Wolle, aber auch Leder. Ich verzichtete weitestgehend auf schmückende Details, wie sichtbare Taschen und Kragenformen, um ein auf seine Grundformen reduziertes Design zu erzielen.