zum Inhalt

Bechstein Luana

Eigen-Sinnlichkeiten des Alterns. Affektive Materialitäten in der Kunst als Grundlage neuer Alternskonzepte

Beginn des PhD-Programms / Start of the PhD-Program: SS 2020 Betreuung / Supervision:
Jasmin Mersmann „[Künstler/innen] liefern keine Produkte, die das Leben im Alter in praktischer Hinsicht erleichtern, aber sie helfen das ,Andere‘ des Alters wie einen fremden Kontinent zu erforschen, schwer zugängliche Phänomene [...] besser zu verstehen und Wissen zu vermitteln, das auf keinem anderen Weg zu haben ist.“ (Herwig 2014, 18)

Welche Rolle kann Kunst oder können Künstler*innen bei der Auseinandersetzung mit dem „Anderen des Alterns“ spielen? Das von Henriette Herwig postulierte Erkenntnispotential künstlerischer Positionen für die Entwicklung neuer Alternskonzepte steht im Zentrum dieses PhD-Projekts. Ziel ist eine wissenschaftlich-künstlerische Alternsforschung, die ästhetische Erfahrungs- und Ausdrucksformen als Wissensquelle für veränderte Haltungen gegenüber dem hohen Alter fruchtbar macht. Geprägt durch (vornehmlich negative) soziokulturelle Deutungsmuster ist Altern ein Prozess, der jede*n betrifft und subjektiv-affektiv erlebt wird. Mit ihren sinnlichen Qualitäten und subjektiven Zugängen besitzen künstlerische Darstellungen eine spezifische Nähe zum Altern.

Anhand exemplarischer Arbeiten (u.a. von Phillip Toledano, Zoe Leonard, Motoi Yamamoto und JR) wird untersucht, wie Künstler*innen Erlebnisweisen gegenwärtigen Alterns sinnlich erfahrbar machen. Neuere Ansätze der affect studies fungieren als Analysewerkzeuge, um das affektiv-ästhetische Potential der künstlerischen Arbeiten freizulegen. Ein Fokus liegt dabei auf der materiellen Verfasstheit der Bilder, Körper und Objekte, ein zweiter auf der affektiven Selbstbetroffenheit, die Künstler*innen motiviert, Prozesse des Alterns zu erforschen. Persönliche Betroffenheit (z.B. Verlusterfahrungen gegenüber dem dementierenden Vater oder die Konfrontation mit eigener Hinfälligkeit durch die Pflege der Mutter) ist dabei kein Manko an wissenschaftlicher Objektivität, sondern Bestandteil der Forschungsmethode.

Über die Integration meiner eigenen künstlerischen Arbeiten – entstanden aus der Auseinandersetzung mit meiner stark dementen hochaltrigen Großmutter – wird individuelle Betroffenheit explizit zum Ausgangspunkt der Forschung. Involvierte Affektivität verbunden mit kulturwissenschaftlicher Analyse ergibt eine alternative Wissensform, die den lebensweltlichen Bezug als essentiell für die eigene Theoriebildung betrachtet. Die theoretische Analyse verbinde ich mit meiner künstlerischen Praxis (Zeichnungen, Collagen) als eigener ästhetischer Wissensform. In einem anschließenden interventionistischen Forschungsprojekt soll das Potential affektiv-ästhetischer Wissensgenerierung in Kooperation mit anderen Forscher*innen (etwa in Gerontologie oder Pflegeeinrichtungen) erprobt werden: Wenn Altern jede*n angeht – wie kann ästhetisch-affektives Alternswissen sinnvoll weitervermittelt, vernetzt werden? Wie lassen sich künstlerische Ansätze in konkrete Problemlagen transferieren, ohne dass Kunst (in der Kritik Claire Bishops) zur sozialen Arbeit wird, sondern in ihrer „Eigen-Sinnlichkeit“ bestehen bleibt? Kurz-Biographie / Short Bio
Luana Bechstein ist Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin. Nach einem Studium der Malerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien, der Biologie in Hamburg und einem B.A. in Angewandten Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg mit den Schwerpunkten Kunsttheorie und Wirtschaftspsychologie hat sie ihr Masterstudium der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Arbeit über alternative Alternsbilder abgeschlossen. An der Kunstuniversität Linz setzt sie ihre Forschungen fort. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der aging studies, des new materialism, der affect studies und künstlerischem Handeln. Luana Bechstein lebt und arbeitet mit Partner und Dackel in Berlin. Email-Adresse / Email-Address:
luana.bechstein@kunstuni-linz.at
o.T., 2016, Finelinerzeichnung auf Papier © Luana Bechstein