Eine Aufforderung zu Fiktion und zu neuen Übersetzungsprozessen unserer Realität
„Ist es möglich, dass die Realität nicht nur die Fiktion überholt, sondern ihr vorauseilt, ja vorauseilend ihr zuvorkommt, um die Schäden zu reparieren, die die Fiktion erst anrichten wird?“
Umberto Eco, Das Foucaultsche Pendel
Es wird uns gesagt: Unsere Welt verändert sich, unsere Vorstellungen und Bedürfnisse verändern sich und wir verändern uns. Dystopische Visionen von unserem zukünftigen Leben auf diesem Planeten stehen optimistischen, meist technologiegetriebenen Allheilsversprechungen gegenüber und wir sind mittendrin, bedürfnisgesteuert von Mächten und Märkten und versuchen uns verzweifelt zu orientieren.
Lev Manovich postulierte am Beginn des neuen Millenniums, dass wir uns den Computer Wissenschaften zuwenden sollten, um die Logik der neuen Medien, sprich die neue Logik unserer Welt, zu verstehen. Er führte damals bereits den Begriff des „cultural transcoding“ ein, und verwies auf die universelle Sprach-, Übersetzungs- und Interpretationsmöglichkeit, die Computercodes in Verbindung mit entsprechenden Geräten liefern und auch welche kulturelle Neukonzeption sich über unser Denken und unsere Sprache aufgrund Ontologie, Epistemologie und Pragmatik des Computers manifestiert. Manovich schrieb sein Buch „The Language of New Media“ in einer Prä-Smartphone-Ära. Die Frage, die sich fast zwanzig Jahre danach stellt, ist: Welche Wichtigkeit wird dem Transcodieren, dem Übersetzen, dem Umwandeln noch immer (oder gerade wieder) gegeben wird? Bzw. anders gefragt: Transcoden wir, weil wir es möchten und weil wir die Werkzeuge dazu selbst entwickeln oder werden wir in die Richtung manipuliert mit vorgesetzten Werkzeugen?
Transcodieren, ein Terminus aus der Informatik ist die auffordernde Einladung einerseits zu unserer Ausstellung junger Kunstschaffende der Abteilung Interface Cultures und andererseits zu einer möglichen aktiven Wandlung unseres Denkens, Funktionierens und „Fiktionierens“. Denn: Transcodierung meint im Herkömmlichen die direkte Konvertierung von einer digitalen Codierung in eine andere, die meist nicht ohne Verlust vonstattengeht. Bedeutet Verlust jedoch nicht eine eingeschränkte Sehweise? Eine Sicht, die zum Beispiel auf Werten wie „das Original“, „das Originäre“, „das Erste und Wahre“ beruht? Was, wenn wir uns auf einen Wandlungsprozess einlassen, der das Original respektiert jedoch die Vorzüge der neuen Lesbarkeit des konvertierten Inhalts überaus schätzt? Inwieweit sollte eine Wandlung nicht auch bestehende Dispositive hinterfragen und bedingen Transcodierungsprozesse nicht auch Vorstellungsvermögen, Mut zur Fiktion und das Verlassen einer Realität und deren Sicherheitsnormen? Bezugnehmend auf das zynische Eingangsstatement von Umberto Eco: Ja, es ist möglich! Denn wir vertrauen auf vorauseilendes Wissen und unterliegen dem Irrglauben, bereits im Vorhinein alles berichtigen zu müssen, was uns in Zukunft passieren könnte. Wir opfern unsere Vorstellungskraft einer Sackgassen-Realität und fühlen uns auch noch ermächtigt dabei. Benötigen wir jedoch nicht Fiktionen, Illusionen und Gedankenkonstruktionen, die nur auf neu übersetzen Realitäten basieren können?
Wissend, dass Technologie nicht unsere Welt retten wird, rufen wir auf zu ungesichertem Transcode! Die Abteilung Interface Culture der Kunstuniversität Linz feiert ihr 15-jähriges Bestehen im Rahmen der 40-jahr Feierlichkeiten des Ars Electronica Festivals. Grund genug um sich auf einen umfassenden Wandlungsprozess einzulassen und Prozesse der Transcodierung im Besonderen als auch im Allgemeinen in Form von einer Ausstellung, Performances und Präsentationen sowie diskursiven Herangehensweisen aktuell zu untersuchen.
Lehrkörper: Christa Sommerer, Laurent Mignonneau, Manuela Naveau, Maša Jazbec, Fabricio Lamoncha
"TRANSCODE" Folder.pdf
ars.electronica.art/aeblog/en/2019/08/12/campus/ EN
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